Auch wenn die „Rahmenbedingungen“ im Krankenhaus aus
europäischer Sicht hier vielleicht nicht perfekt sind, wiegt dies das Personal mehr
als auf. Unsere Ärzte (Tashi und Lotay) verfügen über wirklich beeindruckendes
und beeindruckend breites Fachwissen. Tashi ist eigentlich Neurochirurg und
Lotay Urologe, trotzdem operieren sie nahezu alles. Da ist es nicht ungewöhnlich,
dass auf eine Hirn-OP eine Hämorrhoiden-OP folgt. Tashis Kommentar dazu war nur:
„The Neurosurgeon on the wrong pole...”.
Auch Lotay macht einen Großteil der GI-Endoskopien und
operiert mindestens genauso viele Gallen- wie Nierensteine. Steine gehören hier
sowieso zu den häufigsten Diagnosen, dicht gefolgt von perforierten Blinddärmen
und Verbrennungen. Malignome gibt es hier auch recht viele, leider sind viele
bereits soweit fortgeschritten, dass sie nicht mehr kurativ oder gar nicht mehr
operiert werden können. Auch recht häufig haben wir Patienten, die irgendwo
weit herunter gefallen sind. Da es so was wie Absperrungen oder andere
Sicherheitsvorkehrungen (z.B. auf dem Bau) kaum gibt, wundert es eigentlich,
dass es davon nicht noch viel mehr gibt. Trotzdem ist es schlimm, welche
Schädel- und Wirbelsäulenverletzungen mit den entsprechenden Folgen man hier
sieht. Übertroffen wird dass allerdings noch von den Verbrennungsopfern. Das
ist wirklich grausam. Viele Patienten mit Verbrennungen mindestens II° auf +/-
25% der Körperoberfläche. Die meisten kommen einfach aufgrund der Logistik so
spät, dass die Wundflächen schon infiziert sind und somit die Patienten wochenlang
ans Krankenhaus gebunden sind. Geplant war für das KH eigentlich eine eigene
„Burns Ward“, da das Fachpersonal dafür aber fehlt, ist diese Station
geschlossen und die Patienten werden von den Chirurgen mitversorgt.
Hauptursache der Verbrennungen sind Unfälle mit kochendem Wasser oder
brennendem Kerosin. Das Logistikproblem ist auch der Grund für die vielen
Blinddarmperforationen. Einen Rettungsdienst, der die Patienten holt, gibt es
erst seit einigen Monaten und auch nur in Thimphu.
Glücklicherweise sind aber LapGallen und Nieren-/Harnleitersteinentfernungen hier doch die häufigsten Eingriffe. Weil
die Finanzierung eines Lasers zur Lithotripsie noch nicht genehmigt ist, werden
Nieren- und Harnleitersteine noch (offen) operiert. Lotay ärgert sich darüber
fast jede Visite. Aber bald kommt er wohl, der Laser.
Obwohl die Mittel begrenzt sind, sind die Ärzte hier absolut
up-to-date und entschuldigen sich oft, mit welch „mittelalterlichen Methoden“
sie hier noch gezwungen sind Patienten zu behandeln. Sie wissen zu fast jedem
Krankheitsbild die aktuellen Therapieleitlinien und versuchen diese mit den
Mitteln die ihnen zur Verfügung stehen umzusetzen. Der Hauptgrund für
Nichtumsetzung ist meist aber die Infrastruktur und Geldmangel. Außerhalb von
Thimphu gibt es wohl kaum Apotheken geschweige denn Hausärzte die Therapien überwachen.
Antikoagulantien z.B. haben wir hier noch überhaupt nicht gesehen.
Anfang der Woche haben wir eine 22j. Patientin
wahrscheinlich aus ebendiesem Grund verloren. Eigentlich war sie schon auf dem
Weg der Besserung. Da war sie wegen eines PID und daher eine Woche bettlägerig,
ohne Thromboseprophylaxe, keine chron. Erkrankungen. Sie hat noch mit ihrer
Angehörigen gesprochen, dann ist sie bewusstlos geworden und war tot.
Wahrscheinlich hatte sie eine fulminanteste Lungenembolie.
Ansonsten geht es den meisten Patienten recht gut, auch wenn
man das, den westlichen Luxus und „Standard“ gewohnt, erst einmal nicht denken
würde. Statistiken gibt es dazu leider nicht, aber wir haben das Gefühl, das es
hier auch nicht mehr Wundinfektionen, Pneumonien, Nahtinsuffizienzen oder
sonstige Infektionen gibt. Die meisten Patienten, bei denen die OP glatt
gelaufen ist gehen am zweiten postop. Tag nach Hause, teilweise sogar mit
liegenden Drainagen. Die Drainage wird dann einfach einige Tage später ambulant
gezogen. Die Morbidität scheint dieses Entlassmanagement, nicht zu erhöhen (soweit
wir das momentan abschätzen können). Komplikationslose LapGallen können sogar
am Abend des ersten postop. Tages gehen.
Darüber waren wir am Anfang natürlich schon etwas
verwundert. Genauso wie darüber, dass es im OP, außer zum Abwaschen des
Patienten kein Desinfektionsmittel gibt. Bevor man an den Tisch tritt wäscht
man sich Hände und Unterarme nur gründlich mit Wasser uns Seife.
Allgemein sind die Menschen hier sehr kreativ im Probleme
lösen. Für alle laparoskopischen OPs gibt es z.B. keine Bergebeutel. 150$ pro
Stück ist einfach zu teuer. Anstatt Bergebeutel verwendet man hier daher
Kondome.
Auch sonst gibt es kaum Einmalartikel. Kittel, Hauben und
Abdecktücher bestehen aus Baumwolle, Skalpelle bestehen noch aus metallenem
Halter und extra Klingen. Als Drainagebeutel werden leere Infusionsflaschen,
Handschuhe oder angetapte Verpackungsbeutel von irgendetwas verwendet. Auch die
die Hosen und Kasacks werden in den Umkleiden deponiert und mehrmals getragen.
Umkleidekabinen |
"Wäscheschrank" |
Inzwischen überlegen wir uns jeden Tag wie verschwenderisch man bei uns zu
Hause eigentlich ist und wie viel Müll unsere Uniklinik jeden Tag wohl
produziert. So wie es hier scheint, hat das nicht unbedingt größere
Auswirkungen auf das Outcome der Patienten. Andererseits ist GH auch ein
bisschen größer als hier…
frische OP-Siebe eingewickelt in Baumwolllaken hinter den OP-Sälen |
Das einzig nicht so Gute, ist das auch im OP offensichtlich
hin und wieder der Strom ausfällt. Außerhalb des Krankenhauses haben wir uns
inzwischen einigermaßen mit den regelmäßigen Strom- und Wasserausfällen
arrangiert, im KH ist das nach wie vor nicht lustig. Leider haben wir noch
nicht heraus gefunden, was in dieser Zeit mit den beatmungspflichtigen
Patienten auf Intensiv passiert. Da es aber nur vier stück sind, könnte man die
zur Not auch manuell beatmen.
Auch präoperative EKGs und RTx machen definitiv Sinn ;-),
oft wird erst auf dem OP-Tisch festgestellt, dass der Patient nicht fit genug
für eine Narkose/OP ist.
OP-Schleuse |
Insgesamt muss man aber sagen, dass das fachliche Niveau
hier sehr hoch ist und hier keinesfalls „irgendwie herumgedoktert“ wird. Auch
das Pflegepersonal ist unglaublich kompetent und sein Aufgabenbereich ist sehr
viel größer als in Deutschland. So instrumentieren die Schwestern/Pfleger hier
nicht nur, sondern auch erste und zweite Assistenz ist in der Regel eine
Pflegekraft. Auch zugemacht werden die Patienten oft von einer erfahrenen
Schwester.
Ziemlich geräumiger Aufenthalstraum im OP |
Das ist der Grund weswegen wir uns momentan oft noch recht
überflüssig fühlen. Alle Aufgaben die wir in München hatten, werden hier vom
Pflegepersonal erledigt. Um alleine zu operieren, was Lotay und Tashi sicher am
meisten helfen würde, sind wir noch nicht kompetent genug und da zwar alle
Mitarbeiter, aber vieler der Patienten kein Englisch sprechen (bestimmt ein
Drittel kann auch weder schreiben noch lesen, zumeist die ältere Generation),
können wir nicht so viel helfen wie wir gerne würden. Trotzdem sind alle
wirklich unglaublich nett und freundlich, so dass es uns oft schon fast
unangenehm ist. Vor allem Lotay bringt uns so viel bei, was ihn so viel Zeit
kostet, dass wir ein schlechtes Gewissen haben. Bei Visite erklärt er das
Krankheitsbild und die dazugehörigen Therapiemöglichkeiten jedes Patienten sehr
ausführlich und systematisch und begründet, warum er jetzt das macht, was er
macht. Wenn es geeignete Patienten gibt, müssen wir sie untersuchen und am
nächsten Tag bei Visite vorstellen, natürlich inkl. allen Hintergrundinfos zu
Krankheit und Therapie. Wenn wir mal etwas nicht wissen, ermutigt er uns zum
Lernen anstatt und ein blödes Gefühl zu vermitteln. Das Gleiche natürlich auch
im OP.
Dort assistieren wir und schreiben die OP Berichte. Auf
Station beschränken wir uns noch auf Entlassberichte, sollen demnächst aber die
Nachmittagsvisite und das Aufnahmemanagment übernehmen. In der zweiten Hälfte
unseres Aufenthaltes wollen sie uns dann auf die 100te von Patienten in der
Ambulanz loslassen. =)
Wir wiederholen und lernen hier also jeden Tag wirklich sehr
viel und werden durch Lotays Fragerunden auch schon recht gut aufs Staatsexamen
vorbereitet.
Für uns ist es daher ein Traumtertial. Uns bedrückt nur
etwas, dass wir leider nicht so viel zurück geben können, wie wir bekommen. Der
Fachärztemangel ist hier einfach sehr drastisch. Zurzeit gibt es in ganz Bhutan
nur zwei Chirurgen. Die zwei die normalerweise noch in Thimphu arbeiten sind
gerade im Urlaub bzw. wegen eines Trauerfalls beurlaubt. Zwei weitere, die es
wohl in Mongar und noch einer anderen östlichen Stadt gibt sind im Ausland. Der
ehem. fünfte Chirurg aus dem JDWNRH gerade in Ruhestand gegangen. Was Bhutan
dringend braucht ist also eigenen medizinischen Nachwuchs. So engagiert wie hier
alle sind, dürfte das aber kein Problem sein, sobald die Infrastrukturen für
eine systematische ärztliche Aus- und Weiterbildung hier richtig etabliert
sind. Vielleicht gelingt es uns ja da noch etwas weiterzuhelfen.
Zum Schluss noch zu dem Punkt, der bei ein Krankenhaus
sowohl bei Patienten wie auch beim Personal einfach am ausschlaggebensten ist:
dem Essen. ;-)
Das bhutanische Essen an sich ist schon recht speziell, dazu
aber irgendwann auch noch mal ein eigener Bericht. Zusammenfassend kann man
sagen, es ist scharf und fettig, meistens essbar und ab und an sogar lecker.
Was aber wirklich grandios ist, ist die „Harmony Cafeteria“ und ihr Panorama. Da
verliert Großhadern einfach!
Genauso wie bei den offiziellen Arbeitszeiten: 9am - 3pm.
;-)
Im Endeffekt sind wir aber trotzdem von 7:45-17:00 Uhr im
Krankenhaus…
Morgen starten wir unseren ersten mehrtägigen Trip in den
Osten des Landes, da wir anlässlich des Geburtstags Ihrer Majestät des Königs
am Dienstag und des buddhistischen Neujahrs am Mittwoch einige Tage frei haben.
Wir sind weiterhin begeistert, auch wenn wir anfangen einige
westliche Annehmlichkeiten und Speisen zu vermissen.
Liebe Grüße in die Heimat!
PS: Nur weil wir auf der anderen Seite der Welt sind, heißt
dass nicht, dass es uns plötzlich egal ist, was zu Hause passiert und wie es
euch geht! Wir freuen uns über jede Nachricht aus der Heimat (SZ online lesen
können wir aber auch hier…=))!
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