Montag, 12. März 2012

JDWNRH – Teil 3

Unter der Woche sind wir nach wie vor fast komplett von der Arbeit im Krankenhaus und der Vor- und Nachbereitung dieser beansprucht. Amelie hat ihre ersten eigenen kleinen OPs gemacht, d.h. Lipome, Zysten und Basaliome entfernt, und ich habe die vergangene Woche im Emergency Room verbracht. Am Donnerstag waren wir dann noch bei einem großen offiziellen Dinner, zu dem alle „ausländischen Gastarbeiter“ und die Departmentleiter des Krankenhauses eingeladen waren und an dem auch hochrangige Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums teilgenommen haben. Es war interessant die anderen „Wessis“, die man von den Fluren des Krankenhauses schon kannte mal näher kennenzulernen und auch der Ablauf eines formalen Essens in Bhutan unterscheidet sich deutlich von einem in Deutschland. Erst wird bei Snacks und (harten) Drinks geredet, dann wird ziemlich schnell und scharf gegessen und danach gehen alle sofort nach Hause. Also etwa die umgekehrte Reihenfolge wie in Deutschland.

Für einen kurzen Moment sah es wie die Lösung unseres größten Problems aus, aber dann..


ER (inklusive Schockraum)
Im Krankenhaus sind wir, wie schon erwähnt, inzwischen etwas selbständiger geworden. Im ER hatte ich schon meine eigenen Patienten und auch sonst wird uns mittlerweile immer mehr anvertraut.
Auch das Spektrum an Krankheitsbildern und Verletzungen das wir bisher gesehen haben ist schon um einige Raritäten reicher geworden. Patienten mit allen Arten von Tuberkulose sind für uns keine Besonderheit mehr, auch Leberzirrhosen mit allen Komplikationen keine Seltenheit. Der jüngste Patient mit einer dekompensierten Leberzirrhose, der in der letzten Zeit im JDWNRH aufgeschlagen ist, war 15 Jahre alt!!
Auch Tumoren die unfassbar weit fortgeschritten sind sieht man hier zuhauf.
Die Bilder hierzu (hauptsächlich aus dem OP) findet ihr ganz unten, so dass auch zart besaitetere Menschen diesen Text noch lesen können ohne Albträume zu bekommen. Im ER habe ich auch einige wirklich schlimme Sachen gesehen, die es bei uns glücklicherweise nicht mehr gibt und die einem dann schon mal sehr zu schaffen machen. Eine schwangere Frau (22J., 3. Schwangerschaft, eine Tochter) kam zu uns drei Tage nachdem die Geburt begonnen hatte. Sie und ihr Mann leben in einem Haus/Dorf dass mit dem Auto schon 8 Stunden entfernt von der nächsten richtigen Straße liegt, ganz zu schweigen von einer Basic Health Unit oder einem Krankenhaus. Nach drei Tagen kamen sie dann endlich bei uns an, das Kind schon längst tot. Die Frau/das Mädchen vollkommen apathisch, der Mann/Junge vollkommen überfordert. Beide in einem so furchterregenden Allgemeinzustand… 

Da es an so entlegenen Orten auch keine Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen gibt, wusste niemand wie alt das Baby war oder sonst etwas zum Verlauf der Schwangerschaft. Auch die Mutter selbst konnte nicht sagen im wievielten Monat sie etwa war. Das einzige was wir gesehen haben, war ein vollkommen unförmiger Bauch und zwischen den Beinen einen klitzekleinen Teil Köpfchen des Babys. Erst hat die Gynäkologin versucht das Kind noch auf natürlichem Wege heraus zu bekommen, was aber nicht funktioniert hat. Da im Ultraschall dann noch eine Uterusruptur zu sehen war (bei dem Bauch nicht anders zu erwarten), ging es ab in den OP und ein 3,1kg, recht sicher gesunder aber leider schon sehr lange toter Junge wurde per Kaiserschnitt entbunden. Das Baby hätte ohne größere Schwierigkeiten überleben können, hätte die Mutter besseren Zugang zu medizinischer Versorgung gehabt. Sein einziges Pech war, das er 180° verdreht lag und anstatt mit dem Hinterkopf, mit der Stirn zuerst heraus wollte. Das klappt nun mal leider nicht. In Europa hätte man dass ziemlich schnell und leicht erkannt und einfach früher einen Kaiserschnitt gemacht.
Ein genauso schlimmer Fall war eine 18jährige mit einem sehr wahrscheinlich sehr bösartigen Eierstocktumor. Der Tumor war so groß, das sie aussah als wäre sie schwanger. Vorgestern haben wir auch ein Kind mit einem Wasserkopf aufgenommen, das auch einfach viel zu spät das erste Mal von einem Arzt gesehen wurde und dessen Prognose die Mediziner unter euch anhand des CT Bildes auch ohne neurologische Fachkenntnis einschätzen können.
Weniger tragisch, da die Prognose recht gut, aber auch spektakulär, war die OP eines 13 Monate alten Kindes mit Wilmstumor (Niere). Die entfernte Niere war einfach so groß, wie die eines Erwachsenen. 

Am spektakulärsten bzw. exotischsten bisher war aber ein Patient bei dessen OP Amelie assistiert hat. Gehört haben wir ja schon öfter davon, aber nun haben wir es auch mal „live“ gesehen. Ein Mann mit einem Pfeil in der Hand (Bild unten). „Alles war aus der Schusslinie, nur meine Hand halt nicht…“. Er war nicht der Meinung, dass er Glück gehabt hat. Wenn er Glück gehabt hätte, hätte ihn der Pfeil nämlich gar nicht getroffen. =)
Aber auch die Kopfverletzungen (bei Prügelei mit Stock entstanden) die ich im ER gesehen habe, inklusive deren Versorgung, waren haarsträubend.
Insgesamt machen uns die Begrenztheit der Ressourcen und die Arbeitsumstände hier schon zunehmend zu schaffen. Zurzeit kann man auch einen Großteil der Laboruntersuchungen, mit denen ohnehin schon sparsam umgegangen wird, zwar anfordern, zurück kommt dann aber nur „no reagent“. Daher gibt es z.B. gerade keine Schilddrüsenmarker. Im OP das Gleiche: Amelie wollte ein paar 6.5er Handschuhe, woraufhin der OP Pfleger nur meinte sie hätten nur 6er oder 7er oder 6.5 unsteril. Bei Fäden ging es ähnlich.
Auch ich habe die Platzwunde des einen Mannes mit schwarzem Nylon zugenäht, während seinen Kopf auf seinem Jackett lag. Lokalanästhesie brauchte es nicht, da er zuvor schon selbst für eine Allgemeinanästhesie gesorgt hatte und auch steriles Abdecken oder die Haare um die Wunde herum abrasieren wird vollkommen überbewertet. Nylonfaden unterscheidet sich aber praktischerweise wenigstens in der Haptik von bhutanischen Haaren.

Auch gleichbleibend irritierend bleiben die Stromausfälle im Krankenhaus. In größeren aber doch regelmäßigen Abständen wird es einfach stockdunkel und man kann sich nur noch mit einer Taschenlampe fortbewegen. 


Bei all den Widrigkeiten gibt es, aber auch einige Dinge, die durchaus besser sind, als in Deutschland. Z.B. bekommen die Patienten immer sämtliche Unterlagen beim Verlassen des Krankenhauses mit. Das heißt jeder hat seine komplette Krankenakte bei sich und bringt diese sobald er in die Ambulanz oder auf Station kommt mit. Man hat immer alle vorhandenen Briefe, Laboruntersuchungen, Röntgenbilder, etc. eines Patienten aus sämtlichen medizinischen Versorgungseinheiten da. Nur die aller wenigsten Patienten vergessen ihre Unterlagen mitzubringen. Dieses System ist definitiv besser als das deutsche, wo bei jedem Arzt und in jedem Krankenhaus eine Akte mit Untersuchungsergebnissen des gleichen Patienten herumliegt und man sich oft viel Arbeit sparen könnte, wenn man nur alle Unterlagen beisammen hätte. Außerdem wird im OP fast immer zusammen gegessen/Mittagspause gemacht. =)

Auch das Arbeitspensum was hier von einigen Ärzten am Tag geleistet wird, ist beeindruckend. So macht Lotay mittwochs ohne Probleme 45 Magenspiegelungen und noch einige Darmspiegelungen. Eigentlich braucht man für eine Magenspiegelung keine Sedierung. Das spart auch enorm viel Zeit. Der Patient kommt rein, legt sich hin, 2-3min Spiegelung, Aufstehen, Mundausspühlen o.ä. und dann geht er auch schon wieder. Man fragt sich da echt, warum die Deutschen (uns nicht ausgenommen) sich da so anstellen. Auch bei Lotays OP-Plan, darf man sich in Deutschland nicht über viel Arbeit beklagen… ;-) Für eine unkomplizierte LapGalle braucht er nur gute 10 Minuten. Da auch die Wechselzeiten der Anaesthesie im Schnitt nur 15min sind, kann man da schon mal sieben LapGallen und noch ein bisschen anderen Kram an einem Tag machen.

Und auch einige jüngere und fittere Patienten, werden mit in den Stationsalltag eingebunden, damit gar nicht erst die Chance besteht, dass Langeweile aufkommt und sie anfangen zu nörgeln.. ;-)

Kompressen, Tupfer und Pflaster sind hier noch hand made
An was wir uns aber auch nicht gewöhnen können/wollen ist, dass man Patienten, die an Krebs oder einer anderen bösartigen Krankheit erkrankt sind, das nicht sagt. Hier (und auch im gesamten übrigen Osten) sagt man ihnen, dass sie ein nicht gut behandelbares Geschwür o.ä. haben, aber vermeidet tunlichst die Worte „Krebs“, „tödlich“ oder „unheilbar“. Den Angehörigen sagt man aber sehr wohl ausführlichst was los ist. Die allgemeine Meinung hier ist, dass Patienten die Mitteilung einer solchen Prognose nicht überwinden würden und dann bis zu ihrem Tod depressiv und ohne Freude dahin siechen würden. Daher liegen bei uns viele Patienten die jeden Tag wieder darauf hoffen, dass der Doktor sie bald gesund macht und sie wieder nach Hause können. Tatsächlich haben sie aber keine Ahnung, werden jeden Tag schlechter und das Einzige was von „unserer Seite“ kommt ist: „Boa, der/die lebt ja immer noch... “.

Auch wenn wir sehr dankbar sind, diese Erfahrung hier machen zu dürfen und prinzipiell auch viel Spaß bei der Arbeit hier haben, freuen wir uns doch, bald wieder in einem deutschen Krankenhaus mit allen Möglichkeiten arbeiten zu dürfen und bewundern es sehr, wie die Ärzte hier trotz all diesen Beschränkung so motiviert und engagiert bleiben können, obwohl sie sich durchaus jede Minute bewusst sind, dass sie hier nicht alles für ihre Patienten tun können. Das ist wirklich eine große Leistung!

 








Diese Woche ist Amelie im ER und ich bin mit Johannes Meixner „Dr. John“, dem deutschen Kinderchirurgen unterwegs.
In seiner Sprechstunde habe ich dann auch gesehen wir wunderbar sich ein Kind entwickeln kann, wenn man seinen Wasserkopf früh genug behandelt (auf den Bildern hat er seinen präop. CT in der Hand) und auf der Kinderstation habe ich heute das wohl süßeste Kind (->), dass ich je gesehen habe, gesehen während die Schwester des 4.Königs Plüschtiere und Süßigkeiten an alle Kinder verteilt hat. 
Überhaupt bin ich ganz entzückt von den niedlichen bhutanischen Babys und Kleinkindern. Amelie macht sich schon ein bisschen Sorgen und zieht mich die ganze Zeit auf… 


Ab hier kommen jetzt die Bilder aus dem OP, von dem Pfeil in der Hand, dem riesen OvarialCA, der Nephrektomie und den Kopfverletzungen. Die werden immer grausamer und die letzten sind selbst für blut- und OPgierige Medizinier nicht ohne. Ich möchte nicht dass jemand Albträume o.ä. bekommt, 
also guckt die Bilder nicht an, wenn ihr wisst, dass ihr das nicht ab könnt!
Sie sind teils schockierend. Ihr müsst selber entscheiden, ob die Befriedigung eurer Neugier euch das wert ist! Man lebt auch ohne das gesehn zu haben.

Uterus mit totem Kind drin
So wurde das Baby dann dem Vater gegeben
Überreste des Pfeils in der Hand


OvarialCA
nochmal OvarialCA
Wilmstumor des 13 Monate alten Jungen
"Kopfplatzwunde" des einen Opfers, da gabs noch ein Tuch zum Abdecken
Als die erste Wunde zu war, hat man noch ne zweite entdeckt
Ihn und sein Jackett hat es am schlimmsten erwischt. Der Schädel drunter ist auch etwas angeknackst und beim Nähen kam mir das erste Mal Blut in einem dünnen 30cm Strahl entgegen.

1 Kommentar:

  1. Hallo Katharina,

    danke für Deinen Blog. Du zeigst hier Dinge, die mir ohne Deine Bilder niemand glauben würde. Danke für diese knallharte Fotoreportage.

    LG

    A.

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