Sonntag, 4. März 2012

Neujahr

Am Abend unserer Rückkehr aus Punakha waren wir bei einem Schulfreund von Lotay zum Essen eingeladen. Für die, die es sich leisten können ist es hier üblich an den Neujahrstagen ein mehrtägiges Ritual für „the well beeing of the family“ zu zelebrieren. Dazu braucht es mindestens fünf buddhistische Mönche und noch eine ganze Menge Musikinstrumente und andere Utensilien, von denen ich zu wenig Ahnung habe, um sie hier aufzählen zu können. Obwohl wir eigentlich recht erledigt waren, haben wir uns daher noch einmal aufgerafft, da Lotay meinte so eine Zeremonie werden wir wahrscheinlich sonst nie wieder sehen.
Der Freund von Lotay, bei dem wir eingeladen waren, hat einen hohen Posten bei einer der Banken hier und gehört sicher zu den reichsten Bhutanern. Schon der Eingang seiner Wohnung sah aus, wie der eines Tempels und er hatte ein eigenes Zimmer für die Mönche, die zu Besuch waren. Auch sonst war die Wohnung im obersten Stock des Hauses für bhutanische Verhältnisse extrem nobel. Selbst für deutsche Verhältnisse war sie recht großzügig.
Beim Abendessen, was hier übrigens immer auf dem Wohnzimmertisch serviert wird (so etwas wie einen Küchen-/Esstisch haben wir außer in unserer Wohnung noch nicht gesehen) haben wir dann auch endlich mal, traditionellen bhutanischen Buttertee probiert. Lotay war glücklicherweise so nett zu sagen, dass er den Gastgeber so gut kennt, dass wir auch ohne schlechtes Gewissen sagen könnten, wenn es uns nicht schmeckt. Es wäre wirklich eine Herausforderung geworden diese Brühe aus Schwarztee, Milch, Zucker und gesalzener Butter irgendwie höflich zu vernichten. An kalten Tagen ist dieses Gebräu angeblich sehr nahrhaft, was sicher stimmt, wenn man nichts anderes hat. Wir waren aber froh, dass wir dann noch leckeren grünen Tee ohne Milch bekommen haben.
Unser Gastgeber war ein wahnsinnig netter Mann, der trotz seines offensichtlichen Reichtums sehr bodenständig geblieben ist. Er hat uns stolz einen Bierkrug mit Zinndeckel präsentiert, den er mal von einem deutschen Studienkollegen oder Geschäftspartner geschenkt bekommen hat.
Über Chilli’n’Cheese, Hähnchen, Reis und einem Chillisalat, der selbst Shaukat (Studienfreund von Lotay aus Bangladesh), die Tränen in die Augen getrieben hat (wir haben erst gar nicht probiert) haben wir uns also ganz nett über Deutschland, Bhutan, Kultur, Politik (hier wissen alle, dass Wulff zurückgetreten ist) und Religion unterhalten. Lotay hat uns sehr viel über Buddhismus, die Philosophie, die Auswirkungen auf die Gesellschaft und den Alltag erzählt. Irgendwann erzählte er uns dann auch von seinem „Adoptivsohn“. Dass Buddhisten an Wiedergeburt und Reinkarnation glauben, wissen wahrscheinlich die meisten von euch. Wir haben später an diesem Abend dann eine „echte Reinkarnation“ kennengelernt.
Da Lotays Freund sehr, sehr gläubig ist unterstützt er mit einem großen Teil seines Geldes verschiedene Klöster und Mönche. Unter anderem den Adoptivsohn von Lotay. Dieser ist vor 14 Jahren in einem kleinen Dorf irgendwo in Bhutan auf die Welt gekommen. Mit zwei oder drei Jahren war er mit seinen Eltern in Tibet auf Pilgerreise und ist wohl recht selbstverständlich in Tempelanlagen herumspaziert in denen er vorher noch nie war. Den Mönchen dort ist angeblich damals schon aufgefallen, dass er etwas Besonderes ist. Einige Zeit später hat er dann von irgendwohin auf einen Berg gesehen und einfach angefangen zu weinen, er war wohl nicht zu beruhigen und als man ihn fragte was los wäre, meinte er nur, da hinten wäre er gestorben. Tatsächlich wurde an der Stelle auf die der Junge zeigte, Jahre vorher wohl der Leichnam eines Lamas verbrannt. Das alles hört sich jetzt wie eine Geschichte aus X-Faktor an. Auch Lotay meinte er, der an die Wissenschaft glaubt, könnte das so nicht erklären. Fakt ist aber wohl, dass der Junge eine ganze Menge Prüfungen bestanden hat, die er nur mit dem Wissen aus seinem früheren Leben bestehen konnte. Es ist wohl keinesfalls so, dass man einfach behaupten kann, man wäre die Wiedergeburt von sonst wem. Da gibt es strenge Regeln und Kinder müssen schon weit vor einem Alter, in dem sie etwas von Wiedergeburt wissen könnten bzw. man ihnen erzählen könnte, was sie tun und sagen sollen, Verhaltensweisen zeigen, die auf eine Reinkarnation hinweisen. Viele sagen z.B. im Kleinkindesalter auf einmal, über ihre Eltern, dass das nicht ihre richtigen Eltern seien oder dass das Haus in dem sie wohnen nicht ihr Zuhause ist. So kam auch Lotay zu seiner „Vaterschaft“. Der Tulku hat einfach beschlossen, das Lotay sein neuer, richtiger Vater ist, nachdem er ihn einmal irgendwo getroffen hatte. Für Lotay ist das eine so große Ehre, dass er dies nicht ablehnen konnte. Die Eltern des Tulkus leben beide noch und stehen auch im Kontakt zu ihm, trotzdem sagt er zu Lotay und seiner Frau Papa&Mama. Er selbst geht gerade noch in eine Schule in Punakha und lebt sonst in einem Kloster dort in der Nähe. Dem König war es wichtig, dass er seine Ausbildung in Bhutan abschließt und erst danach in „sein“ Kloster in Tibet „zurückkehrt“. Die Anerkennung seiner Reinkarnation war wohl ein richtiger chinesisch-bhutanischer Staatsakt.  Bis jemand als ein Tulku anerkannt wird ist es ein langer Prozess, den man nicht unbedingt nur als religiösen Schabernack abtun kann.
Ich weiß immer noch nicht wie sehr ich das ganze glauben kann, was ich an diesem Abend gehört und gesehen habe. Aber als reinen Hokuspokus kann ich es nicht bezeichnen, irgendwas ist da schon dran, irgendwie...
Nach dem Essen durften wir dann sogar zu ihm und ihn ein bisschen kennenlernen. Das war keinesfalls selbst verständlich. Der Dalai Lama wollte ihn einmal einladen, das wurde ihm aber nicht gestattet. Man darf einen Tulku nicht einfach einladen, auch nicht, wenn man der Dalai Lama ist (der selbst ein Tulku ist). Der Tulku kommt einen besuchen oder empfängt einen und nicht andersherum. Ein bisschen amüsant fanden wir das schon, soo ehrwürdig und erhaben konnte ein 14jähriger Junge doch gar nicht sein. Da alle anderen Anwesenden aber sehr aufgekratzt waren, war es schon ein seltsames Gefühl, den Tempelraum des Gastgebers in dem der Tulku Audienz hielt zu betreten. So ein eigener Tempelraum in der Wohnung ist auch keinesfalls üblich. Eine normale Familie in Bhutan hat einen kleinen buddhistischen Schrein in ihrem Haus vor dem sie betet, opfert und meditiert und kein extra Zimmer, dass eingerichtet ist, wie ein kleiner Tempel.
Ein weiteres mal also Glück für uns so etwas zu sehen und auch mal photographieren zu dürfen. Das darf man in den „richtigen“ Tempeln nämlich nicht.




Von Innen hat sich das Zimmer kein bisschen von dem Hauptraum des Tempels, den wir am Tag zuvor besucht haben unterschieden. Nur gegenüber von dem reichlich mit Butterlampen und bunten Blumenskulpturen aus Butter geschmückten Altar war eine Art Thron auf dem der Tulku saß.
Normalerweise habe ich keinen wirklichen persönlichen Bezug zu Religion und würde mit ziemlicher Sicherheit den Papst auch nicht anders als jeden anderen alten Mann behandeln. Als ich vor diesem 14jährigen Jungen stand überkam mich aber erstmals in meinem Leben ein Gefühl von Ehrfurcht. Es ist schwierig zu beschreiben, weil ich es selbst schon fast albern finde. Aber ich hatte nicht das Gefühl, dass da ein normaler 14jähriger vor mir sitzt. Er hat in dem Moment schon eine ziemliche Ruhe, Würde und Weisheit ausgestrahlt. Auch Lotay hat er extrem höflich und mit äußerster Zurückhaltung begrüßt. Das alles wirkte aber nicht gekünstelt oder unnatürlich. Im Endeffekt haben wir uns dann aber darüber unterhalten, wie Amelie und ich Bhutan finden und festgestellt, dass wir fast die gleiche Uhr haben. Ganz abgehoben war er also nicht. Trotzdem war er anders als die meisten Jungs in seinem Alter. Nach etwa einer Viertelstunde war es ihm dann auch genug und der hat sich langsam und geordnet von seinem, Thron erhoben, verabschiedet und sich wieder in sein eigenes Zimmer zurückgezogen. Eine Amerikanerin die wohl letztes Jahr mit einem medizinischen Hilfsprojekt nach Bhutan kam und einfach geblieben ist, hat uns dann noch sehr amerikanisch erzählt, wie sensibel der Tulku doch ist und dass sie sehr auf ihn Acht geben müssen, etc. weil er sehr leicht krank wird, wenn sein inneres Gleichgewicht o.ä. gestört wird. Das war dann schon wieder ein bisschen zu viel des Guten... Etwas von der eigentlichen Zeremonie, also Gesänge, Gebete oder Handlungen haben wir dann gar nicht gesehen. Nur die Instrumente und den geschmückten "Tempel". Am Ende des Abends fielen wir dann aber trotzdem todmüde und ein bisschen erleuchteter in unsere Betten und fragen uns heute noch, wem wir da eigentlich wirklich begegnet sind.

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